Ein Produkt erobert die Welt. 100 Jahre Stahlspundwand aus Dortmund

Karl-Peter Ellerbrock: Ein Produkt erobert die Welt. 100 Jahre Stahlspundwand aus Dortmund, Ardey-Verlag , Münster 2002, 160 S., zahlreiche Abb., 21 x 29cm, ISBN 3-87023-160-2, EURO 19,80

spundwand

Aus dem Inhalt:

Am 8. Januar 1904 wurde dem Bremer Baurat Tryggve Larssen vom Kaiserlichen Patentamt in Berlin für die Herstellung von “Spundwand aus Walzprofilen von rinnenförmigem Querschnitt” ein Patent erteilt. 1902 waren die ersten Larssen-Spundwandbohlen aus Stahl verwendet worden. Sie stammten aus der Produktion der Dortmunder Union. Bis dahin war die althergebrachte Holzspundwand das einzige Hilfsmittel, um Baugruben im freien Wasser oder im Grundwasser dicht abzuschließen.

Hintergrund der Larssenschen Erfindung war ein Bauprojekt in Bremen, wo am Hohentorshafen eine Uferwand gebaut werden sollte. Der hölzernen Spundwand waren hinsichtlich ihrer Abmessungen und Widerstandskraft natürliche Grenzen gesetzt. “Eiserne Spundwände” besaßen den Vorteil höherer Festigkeit und konnten in weitaus größerer Länge hergestellt werden. Zur Umsetzung seiner innovativen Idee nutzte Larssen das Know-how der hiesigen Ingenieure und Walzfachleute und es kam zu einem “Jointventure” mit den Hochofen-, Stahl- und Walzwerken Dortmunder Union. Dort gelang es, ein U-förmiges Spundwandprofil herzustellen, an das ein kleines Z-Profil angenietet wurde. Damit wurde zwischen den einzelnen Bohlen eine zug- und druckfeste Verbindung geschaffen. Die relative Dünnwandigkeit und damit geringere Bodenverdrängung erleichterte das Einbringen in das Erdreich, ließ größere Rammtiefen und Geländesprünge überwinden. Im Bremer Hohentorshafen sind die ersten Spundwandbohlen aus Dortmunder Produktion von 1902 noch heute erhalten.

Innovationen aus Dortmund

Es war kein Zufall, dass sich Larssen zur Verwirklichung seiner Idee nach Dortmund orientierte. Die hier ansässigen Stahlwerke genossen als Innovationsschmieden internationalen Ruf, und die Region galt als Kompetenzzentrum für Ingenieurleistungen vor allem auch im Anlagen-, Stahl- und Brückenbau, wie die Namen Jucho, Klönne oder Uhde belegen. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges gelang den Walzwerkern und Ingenieuren der Dortmunder Union noch ein weiterer technologischer Durchbruch: Das Spundwandschloss wurde beidseitig an das Profil angewalzt, wodurch nicht nur eine höhere Dichtigkeit und Rammfestigkeit erreicht wurde, sondern auch ein kompletter Walzvorgang und das Annieten wegfielen.

Nach dem Ersten Weltkrieg bekam das System Larssen Konkurrenz. Nur wenige Kilometer Luftlinie von der Dortmunder Union entfernt meldete die Hoesch AG eine vom Hamburger Oberbaurat Lamp entwickelte Spundwand zum Patent an. Sie bestand aus Z-förmigen Bohlen mit einem Labyrinthverschluss. 1928 ging die Produktion bei Hoesch in Serie. Spundwand “made in Dortmund” boomte und eroberte die Welt. Die Spundwandproduktion stieg bis zur Krise von 1929 ungebremst an. Als Standard wurde Stahl mit einer Festigkeit von 37 kg/mm² verwendet. Auf Wunsch wurden auch Sonderstähle geliefert, so der Resistahl St 52 auf Thomasstahlbasis. Diese steigende Nachfrage wurde einerseits durch den Ausbau des deutschen Kanalnetzes, aber auch durch frühe Bemühungen um den Aufbau eines deutschen Autobahnnetzes gefördert, die aber beide aufgrund divergierender regionaler strukturpolitischer Interessen zunächst nur Stückwerk blieben. Die Dortmunder Union war seit 1927/28 an den ersten Schleusenbauten beteiligt. Es folgten große Seebauten wie die Columbus-Kaje in Bremerhaven. Zusammen mit der Nordseeschleusenanlage wurden allein auf diesen Großbaustellen zwischen 1928 und 1930 über 23.000 t Larssen-Bohlen verbaut. Eine weitere Großbaustelle war mit einem Verbrauch von 31.000 t Larssen-Bohlen zwischen 1930 und 1934 das Projekt Dünkirchen.

Der Exportanteil schwankte vor dem Zweiten Weltkrieg zwischen 50% und 70%. Die wichtigsten Ausfuhrmärkte waren neben dem europäischen Ausland Nord- und Südamerika, Afrika, der ferne Osten und Australien.

Krise und Scheinblüte – die 1930er Jahre

Die Rohstahlproduktion im Ruhrgebiet erreichte 1929 mit 13,7 Mio. t ihren Höchststand und sackte in der Weltwirtschaftskrise bis 1932 auf 4,6 Mio. t ab. Eine ähnlich rasante Negativ-Entwicklung sollte auch das Spundwandgeschäft nehmen, das beim Dortmund-Hörder Hüttenverein zwischen 1929 und 1932 um über 50% einbrach. Bei Hoesch gelangte die Jahresproduktion mit gerade einmal 1.000 t auf dem Nullpunkt an. Das Spundwandgeschäft boomte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten abermals, wenn auch unter anderen Rahmenbedingungen. So widersprüchlich und letztlich konfus die wirtschaftspolitischen Vorstellungen innerhalb der NSDAP auch waren, die Parteiführung wusste um die hohe Bedeutung einer wie auch immer erfolgreichen Bekämpfung der wirtschaftlichen Krisensymptome. Heute wissen wir, dass bereits nach wenigen Jahren der wirtschaftliche Zusammenbruch vorprogrammiert war und die Konjunktur nur vordergründig durch eine weiterhin überhitzte Kriegsrüstung aufrecht erhalten werden konnte: Es herrschte Vollbeschäftigung, die Industrieproduktion hatte den Höchststand der Vorkriegsproduktion überschritten, und das Sozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung lag etwa 25% über dem Niveau der “goldenen Zwanziger Jahre”. Die erste Phase der nationalsozialistischen Kriegsvorbereitungen betraf den Ausbau der Infrastruktur. Waren bis Ende 1933 insgesamt 3,1 Mrd. RM in zivile Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geflossen, hatte sich diese Summe bereits bis Ende 1934 auf 4,9 Mrd. erhöht. Der Löwenanteil floss in den Autobahnbau, aber auch die Reichsbahn und die Schifffahrt profitierten erheblich: 1,7 Mrd. RM (vorher 0,9 Mrd.) flossen in diesen Sektor. Dennoch war, allen Legenden zum Trotz, der militärisch-strategische Wert der Autobahn eher gering.

Hohe Priorität genoss der Ausbau des Kanalwesens. So verkündete beispielsweise der Landeshauptmann Kolbow im Münsteraner Landeshaus am 8. November 1933 den Beschluss über den Ausbau des Dortmund-Ems-Kanals, der vom rheinisch-westfälischen Industriebezirk bereits seit Mitte der 20er Jahre vehement gefordert worden war. 1938 sollten allein an diesem Projekt 20.000 Arbeiter in einer gigantischen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beschäftigt werden. Zwar wurden die Ausbauarbeiten des Dortmund-Ems-Kanals seit 1935 wieder eingeschränkt, dafür wurde aber der Ausbau des Mittellandkanals forciert, um die “Hermann Göring-Werke” verkehrstechnisch besser anzubinden.

Die wachstumsstimulierenden Impulse dieser Maßnahmen im Verkehrsbereich auf die Dortmunder Spundwandproduktion lassen sich nicht übersehen. Die Herstellung von Larssen-Bohlen erreichte mit fast 143.000 t im Geschäftsjahr 1938/39 ein Rekordergebnis, an das auch in den besten Jahren des Wirtschaftswunders nicht heranzukommen war. Hoesch erreichte seinen Zenit im Geschäftsjahr 1936/37 mit 56.000 t. Erst Mitte der 1960er Jahrekonnte diese Marke übertroffen werden. Aber auch in den Brücken- und Tiefbau und in die Stadtsanierung wurden erhebliche Mittel investiert, ein für die Spundwandanwendung ebenfalls interessanter und wachsender Markt. Nach dem Preisverfall in den Krisenjahren nach 1929, als die Erlöse pro Tonne Spundwand von über 200,– RM auf unter 100,– RM absackten, zogen jetzt die Preise wieder an, wurden aber unmittelbar nach der Machtergreifung von den Nationalsozialisten auf einen Höchstpreis von 123,– RM festgesetzt.

Seit 1936, als Hitler in seiner berühmt-berüchtigten Denkschrift zum Vierjahresplan kompromisslos forderte, die deutsche Armee müsse in vier Jahren “einsatzfähig” und die deutsche Wirtschaft “kriegsfähig” sein, trat die deutsche Wirtschaft “ohne Rücksicht auf die Kosten” in eine Phase der Hochrüstung ein. Auch die Eisen- und Stahlindustrie musste mit der Verhüttung minderwertiger deutscher Erze einen hohen Preis für die politisch gewollten Autarkieziele zahlen. Mit dem Übergang zur offenen Rüstungswirtschaft brach die Spundwandproduktion schließlich zusammen. Einerseits fielen spätestens mit Ausbruch des Krieges die Exporte weg, andererseits folgte die Auslastung der Stahlkapazitäten nun rüstungswirtschaftlichen Primaten. Insgesamt wurden bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges knapp 1,8 Mio. t Spundwand aus Dortmund in der gesamten Welt verbaut, was einer Länge von etwa 30.000 km entspricht.

Boom nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges behauptete sich das Produkt Spundwand und profitierte vom Stahlboom der Wiederaufbaujahre. Auch als immer dunklere Wolken am Stahlhimmel aufzogen, erwies sich die Stahlspundwand als krisenresistent: Seit 1966 lieferte Hoesch nach der Übernahme der Dortmund-Hörder Hüttenunion (DHHU), die nach der Entflechtung der Vereinigte Stahlwerke AG 1951 durch den Zusammenschluss der ehemaligen Dortmunder Union (seit 1910 Deutsch-Lux; 1926 Vereinigte Stahlwerke AG) und des 1852 gegründeten Hörder Vereins (seit 1906 Phoenix AG, Abteilung Hörder Verein; 1926 Vereinigte Stahlwerke AG) entstanden war, die Systeme Larssen und Hoesch aus einer Hand. Stahlspundwand aus Dortmund wurde zum Marktführer in Europa. Im Geschäftsjahr 1970/71 wurden am traditionsreichen Standort des Werkes Union, wo nach der Fusion von Hoesch und der DHHU die Spundwandproduktion konzentriert wurde, über 150.000 t Stahlspundwand produziert.

Mit der Entwicklung der Schlossdichtung System Hoesch in den 1970er Jahren konnte eine Reihe zusätzlicher Geschäftsfelder neu erschlossen werden. Dazu zählen im Wasserbau Häfen, Wasserstraßen, Schleusen, Wehre oder Hochwasserschutzwände. Im Bereich Verkehrswegebau sind vor allen Dingen Stützwände, Lärmschutzwände, Brückenwiderlager, Rampen, Tiefstraßen oder Grundwasserwannen sowie Tunnel zu nennen. Der Bereich Ingenieur- und Tiefbau umfasst Baugruben, Gründungen bzw. Fundamente, Grabenverbau und Tiefgaragen. Im Geschäftsfeld Umweltschutz sind die Bereiche Deponien, Altlasten und Einkapselungen sowie Gewässerschutz hervorzuheben.

In der Produktgeschichte der Stahlspundwand “made in Dortmund” spiegelt sich zugleich die komplizierte und vielschichtige Konzerngeschichte der Montanindustrie des Ruhrgebietes, und dies bis in die Gegenwart hinein, was an dieser Stelle nur angedeutet werden kann. Nach der deutsch-niederländischen Stahlehe zwischen Hoesch und Hoogovens (1972 Estel NV) folgte die Fusion von Hoesch und Krupp (1992 Fried. Krupp AG Hoesch-Krupp). Jetzt wurde die Spundwandproduktion erstmals als eigenständige Gesellschaft ausgegliedert, und Mitte 1994 wurde die Hoesch Spundwand und Profil GmbH (HSP) gegründet. Im Zusammenhang mit dem Zusammenschluss von Krupp-Hoesch und Thyssen wurde HSP zum 1. März 1999 Tochtergesellschaft der Thyssen Krupp Stahl AG. Am 1. Juni 2000 folgte die Übernahme durch die Salzgitter AG. Mit dem Abschluss eines Investitionsprogrammes in Höhe von 38 Mio. Euro blickt die HSP Hoesch Spundwand und Profil GmbH am traditionsreichen Dortmunder Standort im Jubiläumsjahr selbstbewusst in die Zukunft, wenngleich ein weiterer Stellenabbau unvermeidlich scheint.